Inkontinenz ist eine schwere chronische Krankheit

Mit der stiefmütterlichen Behandlung muss endlich Schluss sein

„Blasenschwäche“ verursacht keine Schmerzen und ist zunächst nicht lebensbedrohlich, aber es handelt sich um eine chronische und behandlungsbedürftige Krankheit in gleicher Größenordnung wie Diabetes und Hypertonie. Un- oder falsch behandelt beraubt sie Frauen nicht nur ihrer Würde und ihrer Lebensqualität. Viel schlimmer wiegt, dass sie verschiedene Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus, Schlaganfall, bestimmte mit starkem Husten verbundene Lungenerkrankungen, Herzinsuffizienz und Depressionen zumindest begünstigt.

Von Inkontinenz sind weltweit ca. 200 Millionen Menschen betroffen, in Deutschland ca. 6-8 Millionen. Ein Blick auf die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen zeigt, dass jährlich 480 Millionen Euro für Windeln/Hilfsmittel ausgegeben werden und 200 Millionen Euro für Medikamente. Hinzu kommen Ausgaben für Inkontinenzoperationen in Höhe von jährlich 76,5 Millionen Euro. Laut einer Studie aus dem Jahr 2007 belastet die Behandlung der Inkontinenz die Gesellschaft mit insgesamt 3,98 Milliarden Euro.

Wie kaum ein anderer Bereich in der Medizin des 21. Jahrhunderts ist die als objektiv nachweisbarer unfreiwilliger Harnverlust definierte Harninkontinenz noch vielfach tabuisiert und schlimmer noch, häufig nicht erkannt und oder fehlerhaft therapiert. Dabei handelt es sich um eine der häufigsten Erkrankungen der modernen Gesellschaft. Mit zunehmendem Alter steigt auch der Anteil inkontinenter Frauen – auf bis zu 80-90 Prozent im hohen Alter – abhängig von Alter und Pflegegrad. Als eines der so genannten vier „geriatrischen I“ ist der unwillkürliche Harnverlust alter Menschen in 25-50 Prozent aller Fälle der Grund für die Einweisung in eine Pflegeeinrichtung und steht an 4. Stelle der Erkrankungen, die die Lebensqualität entscheidend beeinträchtigen. Angesichts der Tatsache, dass Inkontinenz in den meisten Fällen sehr gut zu behandeln und oft zu heilen ist, ist das besonders alarmierend.

Fachärzte unterscheiden vier Arten der Harninkontinenz: Die Dranginkontinenz, die Belastungsinkontinenz, eine Mischform aus beiden und sonstige Formen. Die unterschiedlichen Formen der Harninkontinenz bedürfen auch einer vollkommen unterschiedlichen Behandlung. Während die Dranginkontinenz medikamentös mit sogenannten Anticholinergika gut zu therapieren ist, sind diese Medikamente für die Therapie der Belastungsinkontinenz nicht nur gänzlich ungeeignet, sondern gar nicht zugelassen. Angesichts der Tatsache, dass die Belastungsinkontinenz die häufigste Form der Inkontinenz ist, überrascht der überproportionale Anstieg der Ausgaben für Anticholinergika in Höhe von 84,14 Prozent im Zeitraum 2004-2009. Da im gleichen Zeitraum die Ausgaben für Inkontinenzoperationen gleich geblieben sind, liegt der Schluss nahe, dass Millionen von Frauen völlig falsch behandelt werden. Für die Frauen, die unter einer Belastungsinkontinenz leiden, geht es aber um mehr als um eine weitere fehlgeschlagene Therapie: Um schwerwiegende Folgeerkrankungen der Inkontinenz wie Depressionen, Diabetes mellitus, Schlaganfall, bestimmte mit starkem Husten verbundene Lungenerkrankungen und Herzinsuffizienz zu vermeiden, muss zunächst die vorliegende Form der Inkontinenz adäquat diagnostiziert werden. Ärzte sind in der Pflicht, wenn Frauen mit Symptomen wie Schwindel, Verwirrtheit und Stürzen Rat suchen, nach Ursachen zu forschen. Häufig sind dies Auswirkungen sogenannter Coping-Strategien, die viele Frauen mit Harninkontinenz entwickeln, um weiter am sozialen Leben teilnehmen zu können. In den meisten Fällen reduzieren die Frauen die Flüssigkeitsmenge, die sie im Laufe eines Tages zu sich nehmen. Über Jahre durchgeführt, hat das auf den Organismus dramatische Auswirkungen. Die den Haus- und Frauenärzten vorliegenden Leitlinien für die Diagnostik sind gut und führen konsequent angewandt in der Regel zur richtigen Diagnose der Inkontinenzform und zum sinnvollen Therapieplan.

Allen Frauen kann geholfen werden, viele von ihnen könnten sogar vollständig geheilt werden. Gerade für die Therapie der Belastungsinkontinenz gibt es je nach Schwere und Ursache der Erkrankung verschiedene Möglichkeiten. Die Versorgung mit Hilfsmitteln wie aufsaugende Vorlagen oder Inkontinenztampons kann zwar hilfreich sein, ist jedoch keine therapeutische Maßnahme. Jüngere Frauen mit leichter Belastungsinkontinenz können mit Gewichtsreduzierung und einer gezielten und konsequent durchgeführten Beckenbodengymnastik die Krankheit jahrelang im Griff halten. Frauen mit einer rezidivierenden oder einer schwereren Form der Belastungsinkontinenz kann mit einer minimal-invasiven Operation in den meisten Fällen dauerhaft geholfen werden. Mit den in Deutschland gängigen Verfahren können Heilungsraten von 80-90 Prozent erzielt werden. Für die chirurgische Behandlung der Belastungsinkontinenz stehen neben der klassischen Bauchschnittoperation mit Anhebung der Blase, der so genannten Kolposuspension nach Burch, maßgeblich zwei minimal-invasive Verfahren zu Verfügung: Die Schlingenoperation und die Injektionstherapie. Bei der Schlingenoperation wird ein dünnes elastisches Netzband aus Polypropylene, das sogenannte TVT-Band, spannungsfrei im mittleren Harnröhrenbereich platziert. Das Wirkprinzip der Schlingenoperation beruht darauf, die defekten Bandstrukturen zu ersetzen und die ursprüngliche Spannung wiederherzustellen. Langzeitstudien mit einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 11,5 Jahren bestätigen eine hohe Effektivität und Sicherheit des TVT-Bandes. Die objektive Heilungsrate nach dieser Zeit betrug über 90%.

Eine Alternative zum Einsetzen eines Kunststoffnetzes ist die Injektionstherapie mit sogenannten „bulking agents“ (z.B. Polyacrylamid-Hydrogel) in die Wand der Harnröhre. Das Ziel dieser Unterspritzungsmethode besteht darin, die Harnröhre wieder aufzupolstern. Unter Anästhesie wird die Substanz ringförmig in die Wand der Harnröhre injiziert. Die entstehenden Polster verengen die Harnröhre, so dass sie bei Belastung verschlossen bleibt. Die Unterfütterung der Harnröhrenschleimhaut ist eine komplikationsarme und erfolgreiche Behandlungsoption bei Wiederauftreten der Belastungs- und Mischinkontinenz. Der Eingriff ist für die Patientin kaum belastend.

Daher richtet die AGUB (Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion) anlässlich des Deutschen Ärztetages einen Appell an alle behandelnden Ärzte: Ganz gleich, welche Form der Harninkontinenz bei der jeweiligen Frau vorliegt, sie ist in jedem Fall gut behandelbar. Damit die betroffene Frau aber die für sie geeignete optimale Therapie erhält, muss sie die Chance erhalten, dass ihre Erkrankung von einem Spezialisten korrekt diagnostiziert wird. Es ist daher eine wesentlich Aufgabe der behandelnden Haus- und Frauenärzte, die Betroffenen rechtzeitig an einen Urogynäkologen oder speziell ausgebildeten Urologen zu überweisen.

Der Text basiert auf dem ausführlichen Dossier

„Harninkontinenz der Frau – Eine individuell bedeutsame Krankheit mit weitreichenden sozio-ökonomischen Folgen“
Prof. Dr. Werner Bader
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion (gemeinnützige Gesellschaft) (AGUB)
Chefarzt der Frauenklinik am KRH Klinikum Nordstadt
Herrenhäuser Kirchenweg 5
30167 Hannover

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